Angesichts des aktuellen Kriegsgeschehens in der Ukraine eröffnen wir eine Reihe von Vorträgen und Gesprächen mit Wissenschaftler*innen, in denen in Anlehnung an jene Phänomene, die bedauerlicherweise während der extremen Kriegsereignisse augenfällig werden, über mögliche Entstehungsprozesse von Gewalt sowie einer „Ethik der Gewaltlosigkeit“ (Judith Butler) diskutiert werden kann.
Es geht darum, ein Format zu schaffen, in dem verstörendes menschliches Verhalten, wie Barbarei, Terrorismus, Zerstörung, Unterdrückung, Manipulation oder Missbrauch – insofern dies überhaupt möglich ist – verortet und sich der Thematik angenähert werden kann. Aus unterschiedlichen Perspektiven und Untersuchungen – philosophisch, soziologisch, psychologisch oder historisch – betrachten wir ein komplexes Geflecht menschlicher Lebe- (oder Sterbe-) formen, die das „barbarische Temperament“ (Stjepan Meštrović) sichtbar macht. Auch extreme Zustände von Verlust, Begehren, Liebe, Hass oder Eifersucht können wichtige Hinweise im Erkennen von kriegerischem, vereinnahmendem oder friedlichem Verhalten sein.
Jürgen Nielsen-Sikora
Vortrag
Erziehung zur Barbarei? Über den Einfluss pädagogischer Ideale auf nationalsozialistische Verbrechen
26. April 2022, 18.00 Uhr
Der Vortrag von Jürgen Nielsen-Sikora geht der Frage nach, welchen Einfluss pädagogische Ideale auf die Verbrechen der Nationalsozialisten hatten. Welche Erziehung genossen die Täter selbst? Hatte diese Erziehung Einfluss auf ihr Weltbild? Abhärtung, Dressur, Sadismus, Grausamkeit: Welche Folgen hat Erziehung, wenn sie sich diesen Idealen verschreibt? Lässt sich von einer Erziehung zur Barbarei sprechen? Die Ideale der NS-Erziehung sind jedoch auch 1945 noch längst nicht ad acta gelegt. Sie wirken in den Familien, den Heimen und Verschickungsheimen über Praktiken einer so genannten „Schwarzen Pädagogik“ weiter und zum Teil bis heute nach.
Jürgen Nielsen-Sikora (*1973) studierte Philosophie, Psychologie und Pädagogik zu Köln. Promotion 2002 in Köln, Habilitation 2011 in Hildesheim. Bis 2012 arbeitete er als Wissenschaftlicher Mitarbeiter und im akademischen Rat an der Universität zu Köln, bis 2014 bei der Konrad-Adenauer-Stiftung in St. Augustin. Seit 2014 ist er an der Universität Siegen als apl.-Prof. für Bildungsphilosophie tätig. Er leitet das Hans Jonas-Institut und ist Vorsitzender des Hans Jonas-Zentrums. Er publizierte zur europäischen Geschichte im 20. Jahrhundert (Europa der Bürger 2011, Kulturwissenschaften und Nationalsozialismus 2009) und zu moralphilosophischen Themen (Hans Jonas-Biografie 2017, Jonas Handbuch 2021
Stjepan Meštrović
Vortrag
The Barbarian Temperament
Di. 17. Mai 2022
Der Vortrag untersucht das Phänomen des barbarischen Temperaments, insbesondere im Zusammenhang mit dem aktuellen Krieg gegen die Ukraine.
Prof. Meštrovićbemerkt: „Was mich beim Nachdenken über den gegenwärtigen Krieg interessiert, ist die Frage, wie er mit dem Zusammenstoß zwischen den barbarischen Raubtieren und denjenigen zusammenhängt, die Thorstein Veblen ‚den friedfertigen Typ‘ nannte. Interessant ist, wie der friedfertige Typ in dieser Situation die Oberhand gewinnen kann, ohne der Barbarei zu erliegen, oder ob das überhaupt möglich ist.“
Stjepan Meštrović, geboren 1955 in Kroatien, ist ein amerikanischer Professor für Soziologie an der Texas A&M University. Er ist Autor zahlreicher Bücher, darunter The Barbarian Temperament: Toward a Postmodern Critical Theory und Genocide after Emotion: The Post-Emotional Balkan War. Mestrovic war Sachverständiger vor dem Internationalen Gerichtshof des Tribunals für Jugoslawien in Den Haag sowie vor den Kriegsgerichten in Abu Ghraib.
Weiterhin eingeladen – Termine werden noch bekannt gegeben.
Serhii Plokhy – Harvard, USA
Michael Gehler
Jan-Philipp Reemtsma
Adriana Cavarero, Italy